Das fokussierte Arbeiten ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, sofern wir uns nicht durch die allgegenwärtigen Ablenkungen stören lassen.
Aufmerksamkeit ist eine Währung, mit der wir bezahlen. Durch die allgegenwärtigen Ablenkungen wird es für uns zunehmend schwerer, konzentriert an nur einer Sache zu arbeiten. Aber genau das ist es was wir brauchen, um in kurzer Zeit qualitativ hochwertige Arbeit abliefern zu können. Die Fähigkeit länger fokussiert arbeiten zu können, wird damit zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Du schaffst es vielleicht noch, den bekannten Flow-Zustand zu erreichen. Aber kaum hast du einen ruhigen Platz gefunden und arbeitest einige Minuten konzentriert an deiner Aufgabe, kommt schon ein Kollege um die Ecke und lässt deine Konzentration mit einer spannenden Urlaubsgeschichte wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Der beste Weg, um solche Situationen zu vermeiden ist, sich gezielt darauf vorzubereiten. In über 70 sogenannten »Deep Work Sessions« (inspiriert von dem Buch »Deep Work« von Cal Newport) innerhalb eines halben Jahres habe ich die Top 10 der Gründe gesammelt, die mich aus meinem Fokus gerissen haben und mir daraufhin entsprechende Gegenmaßnahmen überlegt.
#1 Personen in unserem direkten Umfeld
Hauptgrund, warum wir aus dem Fokus fallen. Es klopft an der Bürotür, der Kollege am Nachbartisch erzählt ausschweifend sein Wochenenderlebnis oder jemand hat „nur ganz kurz“ eine Frage. Selbst wenn die Kollegen nicht mit uns direkt sprechen: Ein Teil unserer Aufmerksamkeit hört trotzdem zu.
Es ist zwingend notwendig sich in eine Umgebung zurückzuziehen, in der du möglichst sicher von derartigen Unterbrechungen bist. Wenn kein isolierter Raum verfügbar ist, solltest du zumindest versuchen über entsprechende Maßnahmen die Außenwelt auszublenden. Ein gutes Mittel ist hier beispielsweise ein Noise-Cancelling-Kopfhörer und ein Schild »Bitte NICHT stören – wichtige & dringende Arbeit wird erledigt« am Schreibtisch oder an der Tür.
#2 Benachrichtigungen
Durch Smartphones und Rechner erhalten wir ständig Benachrichtigungen über neue E-Mails, Instant Messages oder im Fall der Smartwatch sogar den Hinweis »Jetzt aufstehen«. Auch wenn etwas Bewegung zwischendurch ganz gut ist: das Vibrieren, Piepen oder Klingeln unterbricht unseren Arbeitsfluss.
Daher gilt: Für fokussiertes Arbeiten sollten alle Benachrichtigungen so weit wie möglich ausgeschaltet sein. Je nach Betriebssystem wird dies durch die entsprechende Funktion »Ruhemodus«, »Quiet Hours« oder »Do not disturb« möglich.
Das bringt uns zu…
#3 Smartphone, Tablet, Notebook, Smart Watches usw.
Unabhängig davon, ob die Geräte noch einen Ton von sich geben können: Es genügt ihre bloße Anwesenheit, um uns abzulenken. In einer Studie wurde festgestellt, dass unser Smartphone im Sichtfeld (beispielsweise auf dem Tisch liegend) bereits genügt, damit ablenkende Gedanken aufkommen. Die Geräte fungieren als unterbewusster Trigger für Tätigkeiten, zu denen wir das Gerät nutzen (Social Media, Messenger, E-Mails etc.). Der Gedanke an WhatsApp lenkt uns in geringerem Maße ebenso ab, wie wenn wir die App tatsächlich öffnen würden.
Daher also: Die Geräte sollten sich idealerweise nicht in direkter Reichweite oder zumindest nicht in unserem Sichtfeld befinden. Wird das Gerät zwingend für die Aufgabe benötigt (beispielsweise das Notebook um ein Dokument zu verfassen) gilt: Minimalismus ist Trumpf. Es sollten nur die notwendigen Programme und Apps geöffnet sein – alles andere sollte geschossen und ausgeblendet werden. Microsoft Word hat beispielsweise seit einiger Zeit einen »Fokus-Modus« durch den man alles inklusive der Taskleiste ausblenden kann, denn selbst die Uhr gilt bereits als Ablenkung.
#4 Unruhige Umgebung
Manchmal genügt die Umgebung selbst, um den Fokus zu behindern. Einige Beispiele, denen ich begegnet bin: Ein Platz mit Blick auf einen Parkplatz und damit ständige Bewegung von ein- und ausparkenden Autos. Die Kaffeemaschine im Raum, die alle 30 Minuten kurz durchspült. Gestapelte Zettel, Notizen und sonstiges Material, das an andere, noch zu erledigende Dinge erinnert.
Wie auch schon im ersten Punkt angesprochen, wäre das ideale Umfeld ein isolierter Raum. Allerdings sollte dieser Raum selbst auch Ruhe ausstrahlen. Dies gelingt am besten, indem er aufgeräumt und nicht überladen ist, sowie einen Ausblick auf eine ruhende Außenwelt hat.
#5 Externer Zeitdruck
Wenn der Vorgesetzte ungeduldig auf die Ergebnisse wartet, baut dies Druck auf und leider verschwinden Fristen nicht so einfach. Der Weg, der für mich bisher gut funktioniert hat, besteht aus folgenden drei Schritten:
- Schätzen, wie lange die Tätigkeit dauert die zur Einhaltung der Frist geleistet werden muss.
- Kommunikation der geschätzten Dauer an den »Wartenden« und Hinweis, dass man im Zeitraum X bis Y nur daran arbeiten wird.
- Während der Arbeit im genannten Zeitraum die Frist so gut es geht vergessen.
Anders ausgedrückt: Versuche möglichst stabile Rahmenbedingungen für den geplanten Arbeitszeitraum zu schaffen. Wenn du durch (1) weißt, dass es machbar ist und durch (2) mögliche Nachfragen vermeidest, besteht eine gute Chance, dass du die Frist ausblenden kannst, sobald du im Flow bist.
#6 Emotionale Anspannung
Unabhängig von Zeitdruck kommt es vor, dass man aus anderen Gründen angespannt ist. Vielleicht gab es grade Streit, eine unangenehme Nachricht oder man steht sprichwörtlich einfach unter Strom. Das Ergebnis: Die Gedanken schweifen ab, statt sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Der sinnvollste Weg ist es hier, sich vor der Arbeit bewusst zu entspannen. Für mich habe ich folgendes Ritual etabliert: Frischen Kaffee holen, in einen ruhigen Raum mit angenehmem Ausblick gehen, am Kaffee nippen und entspannt tief ein- und ausatmen. Wem die Achtsamkeitsmeditation ein Begriff ist – dies ist der Moment wo sie Wunder wirken kann.
Wenn etwas mehr Zeit ist, kann ich auch einen kurzen Spaziergang in einem Park oder nahegelegen Wald empfehlen – sofern vorhanden.
#7 Unklare Aufgabendefinition
Vor jeder Fokus-Sitzung sollten wir klar festlegen, worum es eigentlich geht. Ich habe mir daher angewöhnt, die folgenden Fragen vorab schriftlich zu beantworten:
- Welche Aufgabe muss innerhalb der Sitzung erfüllt werden, damit sie ein Erfolg ist?
- Warum ist diese Aufgabe wichtig?
- Welchen Anspruch hat die Aufgabe und wo liegen die Herausforderungen?
- Wie lange habe ich für die Sitzung Zeit, in der ich nicht gestört werde?
Wenn dir beim Schreiben der Definition auffällt, dass einzelne Aspekte nicht klar sind und beispielsweise Rücksprache mit Kollegen benötigen, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder versuchst du das Notwendige vorab zu klären oder du grenzt dies entsprechend ab und definierst es nicht als Teil der Aufgabe. Das zu erreichende Ziel soll dir ganz klar vor Augen kommen und innerhalb der Sitzung erreichbar sein.
Ich möchte zum letzten Stichpunkt »Wie lange hast du Zeit?« noch ergänzen: Es hat sich hier als besonders wertvoll erwiesen klar zu definieren, wie lange die Sitzung dauern soll (beispielsweise von 09:30 bis 12:00) und dann dementsprechend einen Wecker zu stellen. Dadurch wird sichergestellt, dass dich dein Unterbewusstsein nicht regelmäßig daran erinnern muss auf die Uhr zu schauen, beispielsweise um Folgetermine nicht zu verpassen.
#8 Fehlende Materialien oder Informationen
Fällt dir dennoch während der Sitzung etwas auf, was du grade doch nicht selbst erledigen kannst, gilt auch hier: Niederschreiben. Verfasst du beispielsweise ein Dokument und benötigst an einzelnen Stellen doch noch Feedback von Kollegen, so markiere dies entsprechend (z.B. Kommentar »TODO@XY: Aktuelle Zahlen prüfen«). Nach der Sitzung kannst du dies an die betreffenden Personen weitergeben.
Um zu vermeiden, dass du mitten während der Arbeit aufstehen musst, um beispielsweise ein notwendiges Tool auf deinem Rechner durch die IT installieren zu lassen, gibt es einen einfachen Weg: Vorab die Aufgabe einmal geistig durchgehen und sich überlegen, wie du sie umsetzen wirst. Im Gegensatz zu nachgelagerten To-dos sind fehlende Werkzeuge manchmal ein Showstopper um effizient arbeiten zu können und sollten daher im Vorfeld sicher ausgeräumt werden.
#9 Fernseher und Radio
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wenn ich bei Kunden ins Büro komme und in der Mitte des Raums ein Radio läuft, während einige Kollegen angestrengt über einem Problem brüten. Das Gleiche gilt auch für den Fernseher, der nebenbei läuft, während man auf dem Sofa versucht in den Flow zu kommen.
Es heißt nicht umsonst, dass sich Menschen vor den Fernseher setzten, um sich vom Alltag ablenken zu lassen. Radio und Fernsehen sind Medien, über die Menschen zu uns sprechen. Unser Unterbewusstsein nimmt dies auf und verarbeitet es, auch wenn wir es nicht bewusst wahrnehmen. Wir merken es relativ leicht daran, dass im Radio oder im Fernsehen etwas Interessantes gesagt wird und wir dann aufhorchen. Dies ist nur möglich, weil unser Unterbewusstsein in diesem Moment für uns entscheidet: Hey, das hier könnte dich interessieren!
Solche Art von Hintergrund-Unterhaltung wird immer einen Teil unserer kognitiven Kapazität beanspruchen und sorgt dafür, dass wir nicht 100 % bei der Sache sind. Für Fokus-Sitzungen gilt daher ganz klar: Ausschalten, anderswo arbeiten oder Kopfhörer auf.
#10 Falsche Musik
Immer ein gefährliches Thema, wenn ich es anspreche. Musik ist ein beliebtes Mittel, um sich von der Außenwelt abzukapseln. Einfach Kopfhörer aufsetzten, Lieblingsplaylist starten und loslegen. Nun ist es aber so, dass Musik selbst eine sehr effektive Möglichkeit ist, um uns zu beeinflussen und abzulenken.
Läuft unser Lieblingssong, summen wir die Melodie mit oder folgen geistig (oder manchmal auch laut) dem Text. Wir fühlen uns dadurch zwar motiviert und gut, aber tatsächlich ist laut psychologischer Forschung unsere Lieblingsmusik eher hinderlich für die Konzentration. Allerdings ist sich die Wissenschaft auch nicht darüber einig, ob es eine universelle »Fokus-Musik« gibt oder ob es nicht vielmehr eine individuelle Sache ist.
Ich habe über die letzten Jahre einiges ausprobiert und für mich inzwischen vier Spotify-Playlists gefunden, die mich in meiner Konzentration unterstützten und nicht ablenken:
- »Beats to think to« nutze ich für eher technische Fokus-Sessions – beispielsweise wenn ich programmiere
- »Reading Soundtrack« nutze ich häufig zum während ich schreibe oder lese – aktuell läuft sie grade
- »Deep Focus« für verschiedene Dinge – beispielsweise auch wenn ich spazieren gehe
- »White Noise« ist die reinste Form von akustischer Isolation – wenn auch nicht immer besonders angenehm
Du solltest deine Musik so auswählen, dass du während der Arbeit nie in die Musik »hineingezogen« wirst. Idealerweise hat man nach der Sitzung keinerlei Erinnerung daran, was für Musik eigentlich lief. Dies ist vor allem dann auch der Fall, wenn man immer die gleichen Songs in Schleife verwendet und somit auf nichts Neues stößt.
Und wie setzte ich die Punkte um?
Im Gegensatz zu vielen anderen Methoden ist die Anwendung in diesem Fall relativ einfach: Wenn du das nächste Mal eine anspruchsvolle Aufgabe vor dir hast, treffe die entsprechenden Maßnahmen, um dich optimal auf die kommende Fokus-Sitzung vorzubereiten.
Um die einzelnen Punkte zu behandeln, habe ich mir eine entsprechende Checkliste erstellt, die ich vor jeder Deep Work Session durchgehe. Da die 10 Punkte der Liste in diesem Artikel danach sortiert sind, wie häufig die entsprechenden »Störungsquellen« auftreten, möchte ich euch im Folgenden noch meine konkreten Schritte in der richtigen Reihenfolge vor jeder Sitzung mitgeben:
- Externen Zeitdruck vorbeugen (#5)
- Tools, Materialien und Informationen vorbereiten (#8)
- Ziel der Sitzung definieren (#7)
- Umgebung vorbereiten (#1, #3 und #9)
- Technik und Musik vorbereiten (#2, #3 und #10)
- Einstimmung auf die Sitzung (#6)
- Wecker stellen, hinsetzen und loslegen
Ab Schritt 7 heißt es dann: Jetzt gibt es nur noch dich und die Aufgabe!